Betroffene und Angehörige berichten aus ihrem Alltag, die Pflege und Bürokratie
Taschenbuch: 176 Seiten
Verlag: Books on Demand; (31. Januar 2017)
ISBN-13: 978-3743181458
Print: 9,98€ E-Book: 3,49 € ⇒ Amazon BOD Thalia überall erhältlich!
Buchinhalt:
In Deutschland steigt die Zahl zu pflegender Menschen. Pflegende Angehörige arbeiten in den meisten Fällen 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Ihnen bleibt keine freie Minute bei oft schwerer physischer sowie auch psychischer Arbeit. Vom Staat fühlen sich die Pflegenden Angehörigen im Stich gelassen. Wo bleibt die Unterstützung? Stundenweise zu helfen/entlasten durch professionelle Pflege wird so gering wie möglich gehalten. In meinen Augen ein Fauxpas unserer Regierung.
Kritisch setzt sich die Autorin mit dem Thema Pflege, den Gesetzen, Schilderungen von Pflegenden Angehörigen und den Ergebnissen ihrer Fragebogen-Aktion auseinander. Man erkennt anschaulich und unmissverständlich, dass Defizite der Betreuung und Versorgung von PA und PE bestehen. Die Lobby für Pflegende Angehörige und Pflegende muss gestärkt werden, Gesetze mehr zu ihren Gunsten geändert werden.
»Mein Buch ist weder ein Affront an die jetzige Regierung, noch Verurteilung sämtlicher Gesetze und Verbände. ABER eine Aufforderung sich gemeinsam an den Tisch zu setzen.«
Leseprobe:
Prolog
Es war höchste Zeit, dieses Buch zu schreiben. Seit etwa drei Jahren reift es in meinem Kopf. Nach ausgiebiger Recherche sowie sehr vielen Gesprächen und Mails mit Betroffenen einer neurologischen Erkrankung, hauptsächlich die Multiple Sklerose, aber auch Depressionen, Alzheimer und Parkinson, verfasste ich nun dieses Buch. Im Vordergrund steht die Absicht, Angehörigen, einerlei ob Partner, Freunde oder Bekannte, ein Sprachrohr nach außen zu ermöglichen. Sie sollen und müssen endlich auch gehört werden, denn sie alle leisten großartige Arbeit und die meisten gehen täglich über ihre Grenzen. Für sie bedeutet es ein 24-Stunden-Job.
Betroffene und somit Pflegende, treten hiermit nicht in den Hintergrund. Wir leben täglich mit unseren geliebten Menschen und das Wichtigste: Bitte habt kein schlechtes Gewissen den euch pflegenden Menschen gegenüber! Denn wir und auch zu Pflegende sind in diese Situation und Lebensweise nicht selbstverschuldet hineingeraten. Sie erhielten eine Diagnose, die das Leben von heute auf morgen auf den Kopf stellte, ohne dass jemand sie gefragt hat. Auch Angehörige können von heute auf morgen erkranken. Eine fatale Situation, wenn unsere Partner, die uns pflegen und unterstützen, auch erkranken. Selbst das habe ich erlebt und hier ist eine große Portion an Umorganisation, Neureglung des Alltags, Liebe und Toleranz nötig. Solch eine Lebensgemeinschaft werde ich am Rande auch anschneiden, aber erst mal lasse ich in meinem Buch Betroffene und hauptsächlich Angehörige zu Wort kommen.
Ich habe lange recherchiert und Angehörige ebenso wie Betroffene befragt, mich mit ihnen ausgetauscht über Monate und Jahre. Da ich selbst Betroffene einer neurologischen Erkrankung, der Multiplen Sklerose, bin, nicht gepflegt, aber tagein, tagaus unterstützt werde, erzähle ich in diesem Buch meine Sichtweise und die meiner Eltern und Kinder. Viele Jahre umsorgte ich als Pflegende Angehörige meine Tochter als Baby und Kleinkind.
Ich maße mir nicht an zu wissen, was Pflegende Angehörige rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, oft ohne Auszeit, leisten. Diese Menschen berichteten mir von ihrem Alltag, gaben mir ihre Pläne der Organisation in die Hand, deswegen konnte ich authentisch schreiben. Annähernd kann ich ihre Leistungen nachempfinden, da ich selbst jahrelang gepflegt habe. Deswegen habe ich heute oft selbst ein schlechtes Gewissen meiner Familie gegenüber bezüglich meiner Erkrankung. Meine Eltern unterstützen mich seit Jahren in der Betreuung meiner Kinder, wenn es bei mir mal wieder zum Totalausfall durch Klinikaufenthalte, Rehabilitationsmaßnahmen über Wochen und Behandlungen kommt. Meine Mutter kocht und bügelt für mich, mein Vater geht für mich einkaufen oder begleitet mich, fährt mich zu Terminen in Kliniken und zu Ärzten. Beide betreuen meine Kinder und strukturieren den Alltag, besuchen mich bei Klinikaufenthalten und noch so vieles mehr. Ihre mentale Unterstützung ist ein fester Bestandteil in meinem Leben, da mein geschiedener Mann vor fünf Jahren verstorben ist und er die Zeit davor nicht unterstützen konnte und wollte. Sehr, sehr wenige Freunde begleiten mich heute und helfen mir in „Notsituationen“. Auch dieses Phänomen erfuhr ich in vielen Gesprächen mit Angehörigen. Jeder ist am Ende allein und auf sich gestellt, wenn es um die Pflege und die Organisation des Alltags geht. Oft war ich erschüttert und traurig, welch Leid sich hinter der Fassade eines Menschen abspielt. Mit heroischer Gelassenheit und gespielten Lächeln setzen diese Menschen nach außen eine Maske auf, um sich selbst nicht zu verlieren, um stark für ihre Lieben zu sein und sich dabei selbst vergessen beziehungsweise vergessen müssen. Denn ansonsten könnten sie diese 24-Stunden-Aufgaben nicht bewältigen. Aufgebürdet werden diesen pflegenden Angehörigen die Bürokratie unserer Krankenkassen und Gesetze der Regierung. Ein Kampf, der in der Regel Wochen bis Monate dauert, häufig Einsprüche gegen Bescheide nach sich zieht sowie finanzielle Engpässe durch den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes bedeutet.
Als ich meinen Fragebogen aufsetzte und mir bewusst machte, was wichtig ist, konnte ich nicht ahnen, welche Lawine der Hilfsbereitschaft ich lostrat. Konkret erfuhr ich, dass Angehörige Redebedarf und Hilfe benötigen. Ich werde das Buch weiterleiten an entsprechende Stellen, wie den VdK und das Ministerium in Mainz. In der Hoffnung, einen kleinen Meilenstein zu bewirken, dass WIR Beihilfe bekommen in Form von neuen Gesetzen und Beratungen, damit Angehörige nicht nur mehr finanzielle Hilfen erhalten, sondern auch mental unterstützt und unbürokratische Lösungen gefunden werden. Es ist ebenfalls wichtig, dem Anschein nach noch wichtiger, dass Pflegende Angehörige Auszeiten erhalten, um die häuslichen Situationen besser meistern zu können. Denn ein 24-Stunden-Job ohne Stunden oder Tage an Freizeit hält auf die Dauer niemand aus UND doch müssen erschreckend viele Familienmitglieder, nicht nur die Partner, auch viele Kinder, diese Zustände mittragen.
Bevor ich richtig an dem Manuskript zu schreiben begann, erstellte ich den Fragebogen und bat auf Facebook um Hilfe. So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie die ersten Rückmeldungen kamen und ich verschickte meinen Fragebogen.
Viele wissen, dass ich von der neurologischen Erkrankung Multiple Sklerose (MS) betroffen bin. Mittlerweile nicht mehr im schubförmigen Verlauf, sondern im sekundär chronisch progredienten Verlauf und viele Symptome haben sich manifestiert. Erste Symptome zeigten sich 1995 nach der Geburt meiner Tochter, die Diagnose erhielt ich aber erst 2004. Die Jahre danach waren von Schüben geprägt, einer nach dem anderen, und legten meinen Alltag lahm. Keine Basistherapie griff und selbst die Eskalationstherapie hielt meine MS nur bedingt auf. Heute bin ich fast austherapiert, nur noch Mitoxantron (abgeschwächte Chemotherapie) steht im Raum, was ich bis jetzt verweigert habe. Mein Leben drehte sich 2004 um 180 Grad, jahrelang kämpfte ich gegen den Dämon MS und die Depression. Heute nicht mehr! Ich habe akzeptiert und einen guten neuen Weg für mich gefunden. Doch die Berg- und Talfahrt begleitet mich weiterhin. Dennoch habe ich sie besser im Griff. Hilfsmittel zogen bei mir ein und ich wehrte mich auch nicht mehr gegen einen Rollstuhl. Er bedeutet heute für mich Teilhabe am Leben.
Meine Kinder waren bei meiner Diagnosestellung neun und fünf Jahre alt. Sie haben viel mitgetragen und erdulden müssen. Finanzielle Engpässe, diverse Familienhelferinnen und Alltagsveränderungen. Dennoch schafften wir es gemeinsam. Ich bin stolz, dass ich trotz mancher sehr schweren Situation zwei ganz tolle Kinder habe, die zielstrebig, hilfsbereit und voller Lebenslust sind. Dafür bin ich sehr dankbar. Doch Narben trugen sie sicher davon.
Die Diagnose forderte ebenso meine Eltern, die ihr Leben auch neu regeln mussten, denn sie unterstützen mich bis heute. Kurz nach meiner Diagnose ging mein Vater vorzeitig mit Abfindung in Rente, was für uns ein Segen war, für meine Eltern heute aber finanzielle Einbußen bedeutet. Von psychischen Belastungen ganz zu schweigen.
Freunde kamen und gingen in den letzten Jahren. Nur sehr wenige begleiten mich noch heute. Mit zwei sehr wichtigen Menschen, die nicht mehr hier leben, verbindet mich eine wertvolle Freundschaft. Beate kenne ich seit dem 6. Lebensjahr und leider ist sie nun auch an der MS erkrankt. Sie ist eine der bedeutendsten Bezugspersonen in meinem Leben. Ebenso kann ich mich auf meine Autorenfreundinnen Heidi und Wiebke immer verlassen. Bei Letzterer ist leider ihr Mann an Multiple Sklerose erkrankt und sie pflegt ihn rund um die Uhr. Mit wenigen Bekannten treffe ich mich noch, denn der Alltag eines Gesunden sieht einfach anders aus. Aber ich nehme dies nicht verbittert hin, es ist eben so, wie es ist. Ich habe auch gelernt, alleine zu sein, in sehr wenigen Momenten fühle ich mich jedoch einsam.
Mit diesem Buch möchte ich die Lobby für Pflegende Angehörige stärken und versuchen, dass Menschen, die unsere Geschichten lesen, Verständnis erlangen, damit sie uns zuhören, unser Leben und unseren Alltag akzeptieren und verstehen, warum er uns verändert hat, nämlich durch unsere Erkrankungen. Vor allem soll es Angehörige zum gegenseitigen Austausch führen, deswegen auch hilfreiche Links am Ende des Buchs. Die aufgeschriebenen Berichte sollen die Regierung und Ämter sensibilisieren und neue Gesetze für uns zustande bringen. Freiräume schaffen für Angehörige und Betroffene. Es kann doch nicht sein, dass in unserer modernen Gesellschaft Pflegende Angehörige nicht die nötige Akzeptanz, Zuwendung und Unterstützung bekommen!
Es liegt mir sehr auf der Seele, diese Menschen zu unterstützen. Denn auch durch meine Situation musste und werde ich noch oft Hilfe „einfordern“ müssen. Mich belastet meine Lage und mein Zustand, ebenso die meiner Kinder und Eltern, die dem Ganzen hilflos gegenüberstehen.
Bei der letzten Verschlechterung meiner MS im Juli 2016 (zuerst Schlaganfall-Verdacht, dann „nur“ die MS) mit massiven Sprachstörungen, Gehstreckenverschlechterung und totaler Erschöpfung wurde ich alleine gelassen von der Krankenkasse und den bestehenden Gesetzen. Mein Neurologe verschrieb mir eine Haushaltshilfe, nachdem ich eine Woche im Überwachungsraum des Pfalzklinikums lag und zu Hause dann meinen Haushalt nicht führen konnte. Die Sozialstationen in Landau hatten alle Wartezeiten von mehr als zwei Wochen. Die Kasse meinte dann lapidar, ich sollte mir privat jemanden suchen. Aber wer bitte zaubert auf die Schnelle eine Haushaltshilfe aus dem Ärmel? Speziell in meinem Fall, wenn man handlungsunfähig ist. Ich nicht. Sorry. In solchen Situationen bin ich schachmatt gesetzt von der Erkrankung und den bestehenden Gesetzen. Und ich bin kein Einzelfall!
Beim letzten Aufenthalt im Oktober 2016 in der neurologischen Selzer-Klinik traf ich zwei Ehepaare. Beide Frauen waren an Multiple Sklerose erkrankt. Der Partner pflegte und unterstützte seine Angehörige, folglich seine Frau. Ich kam mit dem einen Mann oft ins Gespräch und ohne zu jammern erzählte er mir von seiner schweren Situation, seinem 24-Stunden-Alltag. Er war dankbar, dass er mit seiner Frau in der Klinik eine Auszeit verbringen durfte. Es graute ihm aber vor daheim, da er dann wieder rund um die Uhr ausschließlich seine Frau pflegen würde. Mitarbeiter der Sozialstation kommen zwar zweimal die Woche, um beim Duschen zu helfen, aber ansonsten wäre er alleine. Auszeiten von Stunden, gar Tagen seien für ihn unmöglich.
Mich machte das traurig und gleichzeitig bin ich bestürzt. Wie oft habe ich solche Geschichten erzählt bekommen und immer wieder erhalte ich Anfragen über Mail oder Facebook nach Möglichkeiten der Unterstützung oder Anträgen, die man stellen kann. Viele wissen, dass ich mich neben dem Bücher schreiben auch ehrenamtlich bei der DMSG Rheinland-Pfalz engagiere. Doch hier kann ich nur das Wissen vermitteln, das ich selbst erfahren habe, das ich mir in all den Jahren angeeignet habe. Aber ich bediene mich der Möglichkeit der Unterstützung durch den Landesverband in Mainz und erfahre dort immer Hilfe. Dadurch vermittle ich Kontakte und gebe die erhaltenen Informationen weiter. Oft schreibe ich über neue Gesetze und Änderungen auf meinem Blog.
Ich habe alle Fragebögen ausgewertet und die Gespräche, die ich in den letzten Jahren führte, nicht nur als Betroffene und Autorin, sondern auch in der Funktion als Gruppenleiterin der Landauer MS-Selbsthilfegruppe. Manchmal erschütterte mich das Erzählte, oft war ich traurig und fassungslos, meine Gefühle fuhren Achterbahn. Umso mehr erkannte ich die Notwenigkeit, auf pflegende und unterstützende Angehörige aufmerksam zu machen.
Befragt wurden von mir Erkrankte und Familienmitglieder. Alltagspläne und Aussagen einer Gruppe für Pflegende Angehörige durfte ich ebenfalls verwenden. Das macht das Buch authentisch. Jeder, der mich kennt oder bereits ein Buch von mir gelesen hat, weiß, dass ich nichts beschönige, denn nur so kann ich Menschen wahrheitsgetreu beraten, informieren und mich austauschen.
Die Multiple Sklerose ist eine fiese Erkrankung und unberechenbar. Warum soll ich sie dann schönreden und nicht das schreiben, was wirklich mit mir durch sie passiert? Ich bin trotz allem ein positiv denkender Mensch, der oft noch relativ hoffnungsvoll in die Zukunft blickt. Auch ich habe Ängste und eine riesige Geschichte hinter mir, aber Authentizität, also Glaubwürdigkeit und Echtheit, gehören in all meinen Büchern dazu.
Das, was ich jetzt schreibe, klingt in manchen Ohren hart, aber es ist die Wahrheit. Wenn wir unsere Angehörigen nicht unterstützen und auch „pflegen“, dann können sie nicht mehr „funktionieren“. Sie opfern sich für ihre Liebsten auf, für uns Betroffene, und eigentlich wollen beide Seiten, Angehöriger und Pflegebedürftiger, das Gleiche: Respekt, Akzeptanz und Hilfe von außen!
Wichtige Abkürzungen, bevor Sie, liebe Leser und Leserinnen, mit dem Lesen beginnen:
PA = Pflegender Angehöriger
PE = Pflegeempfänger
Stärken wir die Lobby für Pflegende Angehörige – sind Sie dabei? Ich würde mich sehr freuen – als erkrankter Mensch und aus Empathie für Pflegende.
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Kapitel des Buchs:
Prolog
- Berichte Pflegender Angehöriger (PA)
1.1. Meine Jahre als „pflegende Mutter und Angehörige“ zweier Kinder
1.2. Alltag und Pflege einer Angehörigen – K. Schmid
1.3. Ein Text von Stefan Schmid
1.4. Bericht – So läuft unser Morgen mit Pflege ab
1.5. Pflegebericht aus Sicht einer pflegenden Angehörigen
1.6. Und plötzlich wurde es dunkel
1.7. Pflege allein zu Haus: Urlaub und Kurzzeitpflege
- Allgemeines – Berichte – Gesetze
2.1. Wichtige Eckdaten rund um die Pflege
2.2. Manchmal ist es notwendig, auch diesen Schritt zu gehen
2.3. Dokumentation eines Gutachter-Termins
2.4. Ablauf der Pflege im Pflegeheim
2.5. Wer hilft den Angehörigen?
2.6. Entlassung eines Pflegebedürftigen aus der Klinik
2.7. „Gefangen“ – Beschreibung einer Panikattacke
- Mein Fragebogen
3.1. Fragebogen für Betroffene und Angehörige
3.2. Zusammenfassung der Fragebögen
3.3. Fragebögen, die ausgefüllt wurden und die ich
veröffentlichen darf
3.4. Schlusswort
- Links und Tipps
Buchempfehlungen
Links für Hilfe oder Tipps
Stiftungen
Für Familien mit Kindern
Interessantes – Wissenswertes
Wegweiser im Gesundheitswesen
Ratgeber zu finanziellen und rechtlichen Fragen
- Danke und eine Bitte an meine Leser
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