Adhärenz bei Multiple Sklerose — nicht immer einfach, nicht immer zählt der Wille — deswegen heute ein paar Erklärungen und Tipps rund um dieses Thema
Die Therapietreue (Adhärenz) bei Multiple Sklerose ist entscheidend für den Therapieerfolg, also die Einnahme von Medikamenten oder einer MS-Therapie, wie Interferone. Jedoch befolgt nicht jeder Patient den Empfehlungen und Anweisungen seines Arztes, seinem Neurologen. Oft holen sich MS-Betroffene eine Zweitmeinung, was ich absolut okay finde. Es ist unsere Erkrankung, unser Körper, unser Leben.
Man darf nicht von der Hand weisen, dass viele MS-spezifische Medikamente und Therapien erhebliche Nebenwirkungen haben. Doch bei einer chronischen Krankheit, wie die MS, muss der Patient sich oft entscheiden zwischen Pest und Cholera. Und es ist sehr wichtig sich selbst zu informieren und beim Arzt die „richtigen“ Fragen zu stellen. Wenn dein Neurologe mal wieder Fachchinesisch spricht, dann bitte ihn um eine Übersetzung. Vergesse auch nie, als deine Fragen auf einen Zettel zu notieren und beim Arztgespräch mitzunehmen. Mache ich schon seit 20 Jahren. Punkt für Punkt gehe ich die Stichpunkte durch und sollte der Arzt mich abfertigen wollen, nagle ich ihn fest. Zu 99 % funktioniert das. Sei hartnäckig, denn es deine Krankheit, deine Gesundheit.
Warum sind viele MS-Betroffene nicht Therapie–treu bzw. adhärent?
Auf einer Internetseite fand ich folgende Zahlen: Die Therapietreue liegt nur bei rund 50 bis 60 Prozent. Erschreckend, was meinst du?
Ärzte vertreten verständlicherweise die Meinung, dass sie so nicht effektiv behandeln können. Ab bei 80%-ige Anwendungen sagen sie, dass eine einigermaßen ausreichende Therapietreue besteht.
Laut WHO gibt es 5 Gründe, die die Adhärenz beeinflussen. Ich habe sie zum besseren Verständnis und schnelleren Überblick in mehrere Haupt- und Unterpunkte aufgelistet:
Patientenbezogene Faktoren
- Medikamente werden vergessen einzunehmen
- Angst vor Nebenwirkungen bzw. Nebenwirkungen
- Psychosozialer Stress, wie das Anstreben einer Karriere, Kinderwunsch, familiäre Probleme
- keine Motivation, weil der Patient sich in einer guten Krankheitsphase ohne Beschwerden befindet
- kein Vertrauen in die Therapie (Hier sollte sich jeder unbedingt mit der Thematik und den Therapiemöglichkeiten auseinandersetzen.)
Krankheitsbedingte Faktoren
- Schwere der Symptome
- Folgeerkrankungen
- Therapie wird erschwert, wenn zusätzlich Symptome dazukommen.
- Depressionen
Sozioökonomische Faktoren
- Alter, Bildungsgrad, Familienstand
Therapiebezogene Faktoren
- zu komplizierter Therapieplan
- zu lange Behandlungsdauer, oft über Jahre
- Medikamentennebenwirkungen
Faktoren im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem
- keine ausreichende und verständliche Aufklärung durch den Arzt
- Vertrauen zum Arzt
- Probleme mit der Krankenkasse, wenn bestimmte Arzneimittel erstmal beantragt werden müssen und nach Ablehnung in Widerspruch gehen muss.
Erschreckende Zahlen belegen, dass etwa ein Drittel der Patienten nach 3 Monaten die Therapie abbrechen, nach 6 Monaten durchschnittlich bis zu 45 Prozent und nach einem Jahr sind es je nach Medikament sogar bis zu 60 bis 65 Prozent. Kannst du dich hier in den Zahlen einreihen oder bist du doch eher oder zu 100 % adhärent?
In den ersten Jahre nach meiner Diagnose war ich …
… eher der adhärente Patiententyp. Total überfordert mit der Situation, mit zwei kleinen Kindern als alleinerziehende Mutter und wenig Ahnung von der Erkrankung. Die Angst, die mir die Ärzte damals machten, wenn ich nicht sofort mit einem Interferon anfange zu spritzen, dann würde meine MS zu schnell voranschreiten. Ich könnte sie durch die Spritzentherapie aufhalten oder die Progression hinauszögern. Sicher gilt das für einen großen Teil der MS-Patienten und dennoch gibt es genügend Beispiele, dass es auch ohne Therapie geht. Bei den Meisten kommen irgendwann Medikamente zur Symptombehandlung, wie Depressionen, Schmerzen, Blasenschwäche und vieles mehr dazu. Auch hier gilt, muss nicht, kann aber.
→ Heute würde ich anders entscheiden. Zu viel Kortison, zu lange abgewartet bei extrem starken Nebenwirkungen. Tysabri war allerdings ein Segen für mich. Aber damals wusste ich es nicht anders, deswegen hilft es jetzt nichts, sich Vorwürfe zu machen. Tue das nie! Denn wenn du irgendwann etwas entscheidest, dann war das in dem Moment die richtige Entscheidung. Lerne aus der Situation oder Gegebenheit und überdenke neu!
→ Heute gehe ich einen anderen Weg. Renitenter und mit viel Wissen, eigene Bücher geschrieben, auch viele Erfahrungen und Austausche mit euch diskutiert. Für mich genau richtig so, zu hinterfragen, abzulehnen und nach anderen Lösungen zu suchen. DOCH dein Weg ist eventuell die 100 % -ige Adhärenz bei deiner Multiplen Sklerose, der andere ist einfach nur therapieuntreu. Beide Entscheidungen sind richtig. Es gibt hier kein richtig oder falsch!
Adhärenz bei Multiple Sklerose ist für viele wichtig, weil die Erkrankung sonst zu schnell an Dynamik aufnimmt
Gehörst du zur Liga adhärenter Patient, dann habe ich hier ein paar Tipps:
- Die wichtigsten Medikamente eventuell in deiner Handtasche oder bei deiner Arbeit deponieren.
- Alle Medikamente in Tages-, Wochen– oder Monatsbehältern vorrichten. (*Affiliate-Link) Ohne dieses Sortieren wäre ich echt aufgeschmissen. Besitze alle Drei.
- Es gibt Apps, Erinnerung am Handy oder ein einfacher Wecker, der dich an die Einnahmen erinnern kann.
- Lass dir von deiner Familie helfen, damit du keine Therapie oder Medikamente vergisst.
- Entwickle eine Routine oder klebe dir Zettel an Spiegel oder auf den Tisch, dass du erinnert wirst.
- Führe einen Kalender aus Papier und notiere dir dort mit Farbstiften die entsprechenden Dinge rund um deine Erkrankung
Das Schlusswort darf auch heute nicht fehlen:
Bleib dir treu, aber nehme deine MS auch nicht auf die leichte Schulter, informiere dich über deine Krankheit, über Therapien und Medikamente, rede nur mit Fachleuten und schiebe Herr Google beiseite, außer es sind seröse Seiten. Wäge gut ab, doch manchmal muss es doch ein Weg mit Therapie, Medikamenten und Nebenwirkungen sein.
Schreibe mir gerne deine Meinung — du weißt ja, ich mag den Austausch mit dir!
Deine
4 Kommentare
Liebe Caro,
du sprichst ein ganz vielschichtiges Thema an.
Ich denke eine Mischung aus Therapietreue und über den Tellerrand hinaus schauen bringt möglicherweise je nach Erkrankung den größeren Erfolg.
Immer den Fortschritt und eine gewisse Flexibilität im Blick zu haben für die eigene Gesundheit.
Ich finde es wichtig in sich hinein zu fühlen “…bin ich persönlich auf dem richtigen Weg oder braucht es noch eine therapeutische Ergänzung welcher Art auch immer”.
Diese Ergänzung sollte der Betroffene dann einfordern.
Herzliche Grüße
Kathy
Danke für deinen ausführlichen Kommentar. Gebe dir recht, man sollte unbedingt immer seine Gesundheit und das persönliche Wohlbefinden im Auge behalten.
Viele Grüße
Caro
Liebe Caro,
das mit der Therapietreue ist nicht nur bei MS so. Wobei man sagen muss, je chronischer eine Krankheit, desto wichtiger ist die Adhärenz. Was meist fehlt ist ein Therapeut, der sich ausreichend Zeit nimmt diese Fakten empathisch und sachlich zu erklären. So gut, dass es Menschen wie Dich gibt, die hier informieren.
Alles Liebe
Annette
Liebe Annette,
ein Therapeut oder Arzt ist sehr entscheidend bei der Adhärenz. Bei jeder chronischen Erkrankung.
Liebe Grüße Caro