Der Film Balanceakt
Der Abend letzte Woche hat mich mit dem Film “Balanceakt” ganz schön herunter gezogen. Auf meinem Blog kann ich mich sortieren, mit euch austauschen – Zeit über den Film zu bloggen. Wer sich den Film nochmals anschauen möchte oder verpasst hat, der kann das in der Mediathek vom ZDF.
Marie, eine junge Architektin, erfolgreich, taff, gesegnet mit einem liebenswerten Freund und kleinem Sohn, steht mitten im Leben. Plötzlich sieht sie verschwommen, ihre Hände fühlen sich taub an und mit dem Laufen klappt es nicht mehr. Ständig stolpert Marie. Jedem MS-Betroffenen ist jetzt klar, was kommt. Marie bekommt die Diagnose Multiple Sklerose (MS). Nichts ist wie vorher und die Symptome verschärfen sich. Ein Gehstock wird notgedrungen ihr Begleiter. Den weiteren Filmverlauf kennt ihr; ich möchte nicht wissen, wie viele Taschentücher während dem Film gezückt wurden. Mir standen die Tränen oft in den Augen. Viele Parallelen entdeckte ich. Morgens aufwachen und doppelt sehen, nicht mehr laufen können und einmal sogar nur unverständlich zu sprechen. Mit geballter Wucht ist verdrängtes an die Oberfläche geschwappt; mich erfasste eine regelrechte Ohnmacht. Nochmals werde ich mir den Film nicht anschauen. Wie habt ihr die Szenen empfunden? Viele schrieben mir ihre eigene Geschichte und die Gefühle nach ihrer Diagnose; mancher machte den Fernseher aus. Zu präsent war die eigene Geschichte.
Zwischen Balance und Ungleichgewicht
Im Leben gibt es kein Schwarz oder Weiß. Bei jedem von uns gerät der Alltag doch irgendwann mal ins Ungleichgewicht; sind wir doch mal ehrlich. Es hapert dann und wann im Beruf, es gibt Knatsch in der Beziehung, die Kinder entscheiden genau das Gegenteil, was man meint und schon ist das Chaos perfekt. Die Balance gerät aus den Fugen. Mit der Diagnose Multiple Sklerose steht bei manchem das Leben komplett auf den Kopf. Nichts ist wie vorher und leider bei einem schlechten Verlauf stellt sich der Alltag als Balanceakt heraus – wird zur Gratwanderung. Alles hat die Farbe schwarz. Bei mir war es auf jeden Fall so. Ich musste mich quasi neu erfinden und das gestaltete sich echt als schwierig. Viele Jahre dauerte dieser Zustand; Stück für Stück eroberte ich mir ein Leben mit der MS. Und meine Zukunft sah mit den Jahren gar nicht mehr schwarz aus. Zwar nicht gerade rosarot, aber eben nicht dunkel ohne Kontraste, wie zu Beginn.
Harte Arbeit – und keiner versprach uns, dass es leicht wird!
Vielleicht hätte ich damals im Jahr 2004 der Diagnosestellung schnell aufgegeben, wenn ich gewusst hätte, wie mein MS-Verlauf aussieht. Doch da waren meine Kinder. Meine Rettung, mein Halt bis heute. Denn es gibt sie auch heute noch – diese dunklen Tage. Dieses Ungleichgewicht meiner Seele, meiner Gefühle. Die Depression ist oft schlimmer als die MS. Wobei ich letztere echt nicht schön reden kann und will.
Die ersten Jahre meiner MS-Karriere prägten Schübe, Cortison-Stoßtherapien und Klinikaufenthalte. Es hört sich vielleicht echt komisch an – ich hatte erst Frieden mit mir und der Krankheit geschlossen, als der Verlauf sekundär chronisch wurde. Nach drei Jahren Tysabri-Therapie krempelte ich unseren Alltag um. Schubförmig gehörte der Vergangenheit an. Kein plötzliches Aufwachen am Morgen und die Welt stand Kopf. Ich suchte mir Wege die MS zu akzeptieren, lebte mit ihr und nicht gegen sie. Raus aus der Komfortzone, das war nun angesagt und dabei entdeckte ich Altes neu, wie das Fotografieren, und erfüllte mir den Wunsch zu klettern. Warum nicht – so lautet jetzt meine Devise. Harte Arbeit bedeutete es diesen Zustand zu erreichen und war nicht immer leicht. Doch Gas geben auch mit MS, fast alles ist möglich – doch nicht auf der Überholspur! Und was ist schon normal? Davon solltet ihr euch ganz schnell verabschieden. Lebt in eurem Rhythmus, probiert aus, erfindet euch neu! Normalität und einen Balanceakt für euch zu finden – könnt nur ihr selbst. Keiner kann euch diese teils harte Arbeit abnehmen. Danach seid ihr euch aber selbst dankbar.
Ein Akt der Balance-Findung und vielleicht die Suche nach dem Gleichgewicht in unserem Leben
Die MS gibt euch auch Chancen. Nix da, ihr bleibt jetzt schön hier und lest weiter. Denn die Krankheit, die wirklich fies sein kann und leider lebenslänglich ist, umschließt euch nicht mit Gefängnismauern! Ihr könnt frei wählen, wie ihr mit ihr leben wollt. Entweder den Kopf in den Sand stecken oder mal neue Wege ausprobieren und gehen. Die MS bietet euch ebenfalls Chancen. Hey Leute, nutzt sie!
Meine Gleichgewicht – Ungleichgewicht als Gegenpol
Hätte mir jemand vor der Diagnose 2004 gesagt, irgendwann schreibst du Bücher oder bloggst, ich hätte ihm einen Vogel gezeigt. Ach übrigens, mein Helfersyndrom-Zeichen auf der Stirn legte ich im Laufe der letzten Jahre ebenfalls ab. Das solltet ihr ebenso. Helfen ist ja schön und gut, aber bitte im Rahmen und eurem Ermessen. Täglich beantworte ich Nachrichten von Lesern und Leserinnen, doch manchmal müsst ihr warten. Und ich weiß, ihr verzeiht mir dies. Neben meinem Blog und meiner zwei ehrenamtlichen Tätigkeiten führe ich noch ein Leben als Mama, Hausfrau und Überlebenskünstlerin. Multitasking war gestern und das tut verdammt gut. Bei meinem Umfeld sortierte ich auch aus; mancher begleitet mich nach wie vor. Darüber bin ich sehr froh, denn einige bringen mich wieder auf meine Lebensspur. Schließlich bin ich nicht perfekt. Man muss sich nicht neu erfinden, doch ein Gleichgewicht finden, mit dem ihr leben könnt. Seien wir ehrlich – wir haben keine andere Wahl und dieser Balanceakt kann zugleich sehr zufrieden und glücklich machen. Seid mutig! Wenn ihr hinfällt, steht auf. Euer Krönchen müsst ihr gar nicht richten, denn es gibt in jedem von uns eine Stärke – die müsst ihr für euch entdecken. Tief graben ist oft nicht notwendig.
Den Balanceakt, wie im Film zu leben, das könnt ihr ganz bestimmt und dafür wünsche ich euch viele schöne Gedanken, eine Portion Mut, Ausdauer und Geduld mit euch selbst und Gelassenheit! Keiner ist perfekt und das Leben mit der MS werdet ihr leben können! Runter vom Sofa und ab in die Suche nach Gleichgewicht und auch mal Tage des Ungleichgewichts. Seid geduldig mit euch. Wir schaffen das gemeinsam!
Herzlichst
Eure
11 Kommentare
Ich habe den Film nicht gesehen aber finde es grundsätzlich bei Filmen, die einem Parallelen zum eigenen Leben aufzeigen, manchmal echt hart zuzusehen. Bei dir war das jetzt natürlich in der Form echt extrem aber Hut ab wie du dich damit auseinander setzt. Das muss man dir erstmal so nachmachen.
Liebe Grüße, Milli
Liebe Caro,
ein ganz toller Beitrag!
Ich finde den Artikel inspirierend und werde den Film definitiv mal anschauen.
Liebe Grüße,
Kerstin
Vielen Dank für den aufmunternden Artikel! Sich selbst nach einer lebensverändernden Diagnose wieder zu finden ist gar nicht so einfach. Ich teile die Meinung “habt Geduld”! Auch wenn es schwer fällt, nehmt jeden Tag eine kleine Hürde und geht weiter.
Danke für deine Empathie. Die haben leider nicht viele.
Liebe Grüße Caro
Liebe Caro, den Film Balanceakt kannte ich nicht, danke für deinen Bericht – leben mit MS ich denke, der Film ist wertvoll, um bei Gesunden/ nicht Betroffenen ein Verständnis für MS zu wecken, darum finde ich es gut, dass es ihn gibt. Dass du ihn nicht noch einmal anschauen wirst, glaube ich dir gerne, das würde ich auch nicht können, liebe Grüße Bettina
Liebe Bettina, es ist ein Film, für jeden, mit oder ohne MS. Wäre er nicht so in die öffentlichkeit gerückt, dann hätte niemand darüber gesprochen und geschrieben. Ein Film, der einfach im Abendprogramm läuft 😉
Liebe Grüße
Caro
Bei jeder chronischen Erkrankung verändert sich das Leben grundlegend und es muss ein neues Gleichgewicht gefunden werden. Und Du hast Recht, es ist ein auf und ab und ein Balanceakt, jeden Tag.
Alles Liebe
Annette
Hallo Caro,
den Text hast du sehr gut geschrieben und ich denke, wenn man den Film schaut, hat man als Außenstehender ein stärkeres Bewusstsein und Verständnis für Multiple Sklerose. Der Film hat mich an ein Buch erinnert, dass ich bestimmt vor ca. 12 Jahren gelesen, in dem eine Frau auch die Diagnose bekommt und der Verlauf immer deutlicher wird. Leider hab ich gerade den Titel nicht mehr gefunden.
Ich habe gerade auch eine Diagnose bekommen, die mich so mein ganzes Leben begleiten wird. Es steht nicht im Verhältnis zu MS, ist aber auch mit einigen Einschränkungen verbunden und im Moment noch sehr präsent bei mir. Du hast sehr schön geschrieben, dass es gilt einen Balance-Akt zu finden. Auf der einen Seite die Krankheit und die Beshcäftigung damit und auf der anderen dieses tolle Leben mit seinen unzähligen Möglichkeiten zu genießen.
LG Denise
Liebe Denise,
danke für deinen Kommentar und Offenheit. Egal welche Krankheit plötzlich das Leben beeinflusst, es führt uns manchmal auf ganz neue Wege und ja, man muss seine Balance erst wieder finden.
Alles Gute dir und viele liebe Grüße
Caro
Liebe Caro, auch dieses Mal hast du es wieder genau auf den Punkt gebracht. Ich denke auch, dass man seine Balance findet wenn man im Gleichgewicht mit sich ist. Bei manchen dauert das, ich bin Gott sei Dank schon immer ein sehr lebensfriher und positiver Mensch und habe nun nach fast 3 Jahren der Diagnosestellung mein Gleichgewicht gefunden
Liebe Kerstin,
so wie ich dich kennengelernt habe, ruhst du in dir und hast einen starken Partner an der Seite. Das freut mich für dich. Auch unsere Kinder geben uns Halt. Danke für deinen lieben Kommentar. So eine treue Leserin 😉 da freut sich jeder Blogger.
Herzlichen Dank, Caro